Bericht von den Agnes-Miegel-Tagen 11.-12. März 2011
In diesem Jahr durften die Besucher der Agnes-Miegel-Tage einmal die unbekannte, von Italien und den Italienreisen beeinflusste Seite Agnes Miegels kennenlernen. Denn unter dem italienischen Motto standen die meisten Beiträge. Bereits zur Eröffnung der Veranstaltung kam die Dichterin selber zu Wort: Dr. Marianne Kopp und Annemete von Vogel lasen zur Einstimmung und Einführung Briefe und Aufzeichnungen, die im Zusammenhang mit der Italienreise von 1911 entstanden waren.
Der Vortrag von Prof. Dr. Paul Leidinger aus Warendorf beschäftigte sich mit der Dichterin in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion. Er zeigte auf, dass in Agnes Miegels dichterischem Werk gerade keine Verherrlichung der menschenverachtenden nationalsozialistischen Ideologie zu finden ist – weder Fremdenhass noch Rassenwahn, weder Aufforderung zu einem Eroberungskrieg noch die Befürwortung von Gewalt. Damit fehlen die wesentlichen Merkmale der Blut- und Bodenliteratur. Immerhin: „Nichts als den Hass zu hassen“, war ihr Lebensbekenntnis.
Aufgrund von Agnes Miegels Anpassung an das nationalsozialistische Regime, welches die Ostpreußin für sich zu vereinnahmen verstanden hatte, wurden schon in der Vergangenheit Schulen und Straßen mit dem Namen der Dichterin umbenannt. Und diese Diskussion hält bis heute an; während die Befürworter der Umbenennungen argumentieren, dass „eine Person, die im Nationalsozialismus verstrickt war“, grundsätzlich keine Vorbildfunktion ausüben könne, verweist die andere Seite auf das bedeutende literarische Werk, die Unkenntnis der Dichterin um den tatsächlichen Charakter des Nationalsozialismus und ihre vollständige Entlastung beim Entnazifizierungsprozess nach 1945.
Auch im Rahmen des Vortrags kam es zu einer Diskussion. Zwei Bürger von Bad Nenndorf zitierten Passagen aus unter dem Einfluss des Nationalsozialismus entstandenen Gedichten – allerdings leider ohne den Kontext der Gesamtgedichte mit ganz anderem Schlusstenor zu berücksichtigen, was eine fundierte Analyse der Texte verhinderte.
Während die Vorsitzende und der Referent als Wissenschaftler die Auseinandersetzung und Diskussion begrüßten und souverän auf die kritischen Fragen zu antworten vermochten, schienen einige Teilnehmer mit dieser, wohl als persönlichen Angriff auf die Dichterin verstandenen, Kritik überfordert. Jedoch wurden auch sehr sachkundige Beobachtungen über prozessual zweifelhafte Vorgänge in Gemeinden mit Umbenennungsbestrebungen vorgetragen.
Da viele Menschen von der unsachlichen Propaganda gegen Agnes Miegel, wie sie von extremen Gruppierungen verbreitet wird, verunsichert sind, wird der literarisch fundierte Dialog mit Kritikern vermutlich zukünftig noch höhere Priorität einnehmen müssen. Herr Prof. Leidinger wies zum Schluss auch noch einmal darauf hin, wie notwendig es sei, Agnes Miegels wenige belastete Werke literaturwissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Agnes-Miegel-Gesellschaft will mit ihrer demnächst erscheinenden Jahresgabe einen wesentlichen Beitrag dazu leisten.
Nach der spannenden Diskussion durften die Teilnehmer dann zum Abschluss der Tagung zwei weniger hitzige, aber umso lohnendere musikalische Veranstaltungen erleben. Im offenen Singen, geleitet von Pastor Adolf Höhle aus Neustadt/Rbge., konnte man schon einmal den Frühling begrüßen. Dem folgte der künstlerische Höhepunkt der Tagung; mit der in Italien verorteten Erzählung „Die Padrona erzählt“ lasen Dr. Marianne Kopp und Annemete von Vogel mit großer Ausdruckskraft eine der erstaunlich wenigen Dichtungen Agnes Miegels mit eindeutig italienischem Bezug. Inge Henke, die begleitend dazu mit ihrer ausdrucksvollen Sopranstimme Arien des italienischen Barock sang, wurde begleitet von typischen Instrumenten der Epoche (Violine, Violoncello, Cembalo) und schuf so für die Dichtung einen Rahmen, der den Erzählraum farbenprächtig zur Geltung brachte.
Das neue zeitliche Konzept, die Veranstaltung mit gleichem inhaltlichem Aufbau auf zwei (statt wie bisher auf drei) Tage zu komprimieren, hat sich als pragmatisch sinnvoll erwiesen. Es bleibt zu wünschen, dass auch im nächsten Jahr wieder ein so vielfältiges Programm gelingen möge.
Sebastian Harms Bolte M.A.