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Posts Tagged ‘nichts als den Hass zu hassen’

In diesen Tagen, um Agnes Miegels 51. Todestag, denken wir zurück an ihren 30. Todestag 1994. Damals vor 21 Jahren wurde dieses Agnes-Miegel-Denkmal im Kurpark von Bad Nenndorf aufgestellt und feierlich eingeweiht. Einige von uns sind damals auch dabei gewesen, jedenfalls war auch der Künstler Ernst Hackländer anwesend, ebenso der Kunstmäzen und Stifter Willibald Völsing. Beide leben heute nicht mehr.

Ich erinnere mich noch, wie wir damals den Wortlaut am Fuß der Statue diskutierten, weil der Bildhauer die Worte des Zitats umgestellt hatte. In Agnes Miegels „Spruch“ für den Ostdeutschland-Gedenkturm in Schloss Burg an der Wupper lautet die letzte Zeile „nichts als den Haß zu hassen“ – während Herr Hackländer eingravierte: „und nichts zu hassen als den Haß“. Inhaltlich macht das keinen Unterschied. Ohne den grammatischen Zusammenhang mit den vorangehenden Versen erschien ihm diese Fassung wohl allgemein­verständlicher. Jedenfalls hob er hervor, wie ihm gerade an dieser Lebenserkenntnis und Maxime der großen ostpreußischen Dichterin gelegen war, die er über alle Zeiten bewahrt wissen wollte.

Die Gestalt der sitzenden jungen Frau mit langem Haar, die einen Becher ausgießt wie ein Füllhorn, ist kein lebensgetreues Abbild von Agnes Miegel, sondern eine künstlerische Interpretation, wie der Bildhauer Wesentliches der Dichterin in den Fokus rücken wollte. In den Falten ihres Kleides birgt sich ein kleiner Hund – das soll jenes Mohrchen sein, das die Jugendjahre Agnes Miegels in Königsberg begleitete. Um den Hals trägt sie eine Perlenkette wie auf dem berühmtesten Foto, das sie als junge Erwachsene zeigt. In der Hand hält die junge Frau ein kleines Buch, das sie dem Betrachter hinhält, aber ihr Blick ist eher unbestimmt in die Ferne gerichtet, von wo ihr die Inspiration für ihre dichterischen Werke gekommen sein mag.

Ursprünglich war die Bronzefigur für den Garten des Agnes-Miegel-Hauses vorgesehen. Der damalige Kurdirektor Hans-Joachim Schick aber setzte sich sehr dafür ein, dass das Denkmal einer breiteren Öffentlichkeit präsent sein sollte und einen Platz im Kurpark erhielt. Damit waren der Stifter und die Agnes-Miegel-Gesellschaft einverstanden, schließlich „gehörte“ die Dichterin Agnes Miegel ganz Bad Nenndorf. Die Stadt Bad Nenndorf hatte Agnes Miegel anlässlich ihres 75. Geburtstags 1954 zur Ehrenbürgerin erhoben. Ebenso war Agnes Miegel 1954 Ehrenkurgast des Staatsbades geworden. So war die Dichterin also von der Stadt und dem Kurbad Nenndorf zu ihren Lebzeiten und in den Jahrzehnten danach hoch verehrt worden.

Wörtlich sagte Hans-Joachim Schick 1994 bei der Einweihung der Skulptur: „Die Schwefelquellen sind das Fundament des Staatsbades zur Gesundung des Körpers. Agnes Miegels Werke dagegen bewirken eine Gesundung der Seele.“ Er wies besonders auf die Inschrift im Sockel der Statue hin, die lautet „… und nichts zu hassen als den Haß“. Im übrigen war er glücklich darüber, dass Agnes Miegel den Namen des Heilbades in die kulturelle Öffentlichkeit trägt.[1]

Ebenso war der Nenndorfer Bürgermeister Gerd Borcherding als Schirmherr dieser Veranstaltung zugegen und ging in seinem Grußwort auf die letzten Jahre der Dichterin in Bad Nenndorf ein, in denen sie trotz ihres Alters neuen Entwicklungen aufgeschlossen gegenüberstand. Zur Einweihung des Nenndorfer Gymnasiums im Jahre 1960 verfasste sie ein Gedicht, das deutlich emanzipatorische Züge aufweist, in dem sie Mädchen und Frauen ermuntert, um ihre Rechte zu kämpfen. „Bad Nenndorf wird heute mit dem Namen Agnes Miegels verbunden, der durch die Agnes-Miegel-Gesellschaft eine angemessene, differenzierte Würdigung widerfährt“, sagte Borcherding.[2]

In den folgenden Jahren war das Agnes-Miegel-Denkmal im Kurpark ein beliebter Ort für die Fotos der Bad Nenndorfer Brautpaare – ähnlich wie die russischen Brautpaare in Agnes Miegels Vaterstadt Königsberg in Ostpreußen gern das Grab des Philosophen Kant an der Nordwand des alten Doms für ihre Erinnerungsfotos und einen Sektempfang aufsuchen. Etliche Postkarten mit Motiven des Kurbades zeigten bis vor kurzem auch stolz die Bronzefigur der Ehrenbürgerin – denn nicht jeder bedeutende Kurort kann sich rühmen, Wohnort einer namhaften Dichterin gewesen zu sein, die überdies eine Reihe von dichterischen Liebeserklärungen an dieses Kurbad verfasst hat.

Als die Agnes-Miegel-Gesellschaft im März 2004 eine mehrtägige Veranstaltung anlässlich des 125. Geburtstags der Dichterin durchführte, betonte der damalige Kurdirektor Hartmut Manthey in seinem Grußwort: „Was kann es Schöneres geben, als Agnes Miegel – als Ehrenbürgerin und Ehrenkurgast von Bad Nenndorf – für ihr dichterisches Wirken in Bad Nenndorf besondere Anerkennung entgegenzubringen. Bad Nenndorf kann stolz auf diese Ehrenbürgerin sein.[3] Stadtkämmerer Richard Allnoch, der Agnes Miegel noch persönlich gekannt hatte, sprach in Vertretung für den Bürgermeister Wilfried Battermann. Er nannte den 125. Geburtstag Agnes Miegels einen besonderen Ehrentag für Bad Nenndorf. „Wir können uns glücklich schätzen, dass Agnes Miegel hier ihre Altersheimat gefunden hat – ‚Geliebte kleine Heimat meines Herzens’, so hat sie Bad Nenndorf genannt, und das ist nach dem Verlust der Heimat, der Flucht und der Unrast eine besondere Auszeichnung. […] Auch heute hat Agnes Miegel für Bad Nenndorf noch eine besondere Bedeutung, denn Besuchergruppen werden bei den Stadtführungen zum Denkmal der Ehrenbürgerin im Kurpark geführt.“[4]

Auf Betreiben der Stadt oder der Kurdirektion wurde das Denkmal um das Jahr 2006 innerhalb des Kurparks versetzt. Die Verantwortlichen hatten befunden, dass der bisherige Standort zu versteckt sei und der Dichterin ein attraktiverer Platz gebühre, wo das Denkmal noch besser wahrgenommen werden könne. Und so war es dann etliche Jahre neben dem Schlösschen ein Anziehungspunkt für Touristen, Kurgäste und natürlich die Nenndorfer Bürger.

So weit, so gut.

Jedoch wurde die Statue für eine kleine Gruppe von linken Aktionisten in den letzten Jahren immer mehr zu einem Stein des Anstoßes. Eine vehemente Rufmord-Kampagne warf Agnes Miegel ihre Parteimitgliedschaft und ihr zeitweiliges Einverständnis mit dem Hitler-Regime vor und wollte von ihren zeitlosen Dichtungen, die unumstößlich zur deutschen Literaturgeschichte gehören und die jüngst noch Marcel Reich-Ranicki würdigte, nichts mehr wissen. Ebenso distanzierten sie sich von Agnes Miegels kultureller Bedeutung für Bad Nenndorf und betonten beharrlich, die Ehrenbürgerschaft sei mit dem Tode der Geehrten erloschen und aufgehoben. Sie reduzierten das Lebenswerk aus sieben fruchtbaren Schaffensjahrzehnten auf ein Gedicht auf Hitler und brachten die örtliche Presse dazu, lange Artikel in ihrem Sinne zu drucken und klärende Stellungnahmen der Agnes-Miegel-Gesellschaft und anderer Leser äußerst kurz oder gar nicht zu drucken. Farbanschläge auf die Skulptur, Verhüllungen und Gewalt­anwendungen zeugten indes von dem primitiven Ungeist dieser Kritiker. Wer sich für Agnes Miegels Bedeutung und die Pflege ihres Andenkens einsetzte, wurde von ihnen kurzerhand selbst als „rechts“ diffamiert und angegriffen. Politische Kritik wurde auch an dem Bildhauer Ernst Hackländer und an dem Stifter Willibald Völsing geäußert.

Die Absicht der Kritiker, Agnes Miegel aus dem kulturellen Gedächtnis des Kurortes zu tilgen, fand Gehör bei den neuen Stadträten, die mit knapper Mehrheit beschlossen, das Denkmal aus dem Kurpark zu verbannen, da es ein schlechtes Licht auf die moderne, weltoffene Kurstadt werfe.

Neu war an diesen plakativen ‚Enthüllungen’ und ‚Entdeckungen’ über Agnes Miegel und die Initiatoren ihres Denkmals überhaupt nichts. Bedenklich scheinen uns indes die Methoden jener Kritiker, die in ihrer Ignoranz und Intoleranz an Bücherverbrennungen unter einem totalitären Regime erinnern. Was auch immer man Agnes Miegel in den Wirren ihrer Zeit vorwerfen mag, geschadet hat sie keinem Menschen, sondern im Gegenteil ihre Mitmenschen und Leser stets mit der starken Ausstrahlung ihrer integren, warmherzigen Persönlichkeit und der humanen, lebensbejahenden Botschaft ihrer Dichtungen beschenkt.

Nach jener dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte, in der auch sie getäuscht wurde und irrte, dankte sie Gott für seine Lehre, „nichts als den Hass zu hassen“, wie sie 1952 in dem Spruch für den Ostdeutschland-Gedenkturm schrieb. Diese Einsicht und Lebensweisheit ist eine Abkehr von jeglicher Parteipolitik oder Parteigläubigkeit. Sie ist ein ausdrückliches Bekenntnis zu Toleranz und Menschlichkeit, die als einzige Maximen zeitlose Gültigkeit haben dürfen. Sie bedeutet ein Nein zu Meinungsdiktatur und dem Ausgrenzen Andersdenkender, ein Nein zu jeglicher Gewalt, Zerstörungswut oder Diffamierung. Und gerade darum wählte der Bildhauer Ernst Hackländer diese Worte für seine Skulptur auf die Dichterin Agnes Miegel. „Nichts zu hassen als den Hass“, dazu bekannte sich auch der Stifter Willibald Völsing, und das beeindruckte den damaligen Kurdirektor Hans-Joachim Schick ganz besonders.

Jene aber, die das Denkmal aus dem öffentlichen Raum von Bad Nenndorfs Kurpark verbannten, sprachen sich damit gerade gegen Toleranz und Weltoffenheit aus, gegen ein warmherziges Gelten-Lassen und gegen diese hohe Lebensmaxime, die dem Artikel 1 des Grundgesetzes (von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen) um nichts nachsteht. Denn Hass macht blind. Überzeugt von der Richtigkeit ihres Tun und Denkens und ihres überhöhten moralischen Anspruchs, der absolute Makellosigkeit und gottähnliche Vorbildlichkeit von einer geehrten Persönlichkeit fordert, verfielen sie gerade dem Hass und wurden blind für alles, um dessentwillen Agnes Miegel bis dahin geehrt worden war.

Ein Bürgerbegehren der Agnes-Miegel-Gesellschaft für den Erhalt des Denkmal-Standorts im Kurpark war erfolgreich und führte zu einem Bürgerentscheid. Trotz überwältigender Zustimmung der Abstimmenden scheiterte der Bürgerentscheid knapp an dem gesetzlich notwendigen Quorum.

Im Februar dieses Jahres wurde das Denkmal aus dem Kurpark entfernt – über die Stelle, wo es jahrelang stand, sollte Gras wachsen. Im Sommer konnte die Skulptur hier im Garten des Agnes-Miegel-Hauses fest aufgestellt werden.

Ganz besonderer Dank gebührt dabei Herrn Niehus und Herrn Kast, die die Umsetzung des Denkmals mit viel Sachkenntnis und Engagement ins Werk setzten. Sie bestimmten diesen neuen Standort im Garten, wo die Skulptur die Besucher, die auf dem Weg zum Agnes-Miegel-Haus sind, quasi begrüßt. Herr Kast stellte die Kontakte zu Firmen und Arbeitern her, koordinierte die einzelnen Arbeitsschritte und war stets bereit, auch selbst Hand anzulegen. Ohne seinen bemühten Einsatz hier vor Ort wäre nicht nur das Ergebnis fragwürdig, sondern auch die Kosten dafür sicher noch höher ausgefallen. Danken möchte ich auch jenen Mitgliedern, die die Agnes-Miegel-Gesellschaft mit besonderen Spenden bei dieser zusätzlichen finanziellen Belastung förderten.

Als die Umsetzung des Denkmals vom Kurpark in den Garten des Agnes-Miegel-Hauses beschlossene Sache war, bekamen wir einige Zuschriften und Anrufe von Mitgliedern und Freunden: Zermürbt von den Anfeindungen gegen die Dichterin, ihr Leben und ihr Werk und von dem sich über viele Monate hinziehenden Streit um den Standort, überwanden sie energisch ihren Ärger und ihre Entrüstung über diese politische Entscheidung und trösteten sich und uns mit der Aussicht: Agnes Miegel kommt nach Hause! Hier wird sie Frieden finden! – Ist das nicht auch ganz im Sinne der Inschrift im Sockel: „… und nichts zu hassen als den Haß“? Diese Einstellung, diese Maxime soll uns und allen Menschen, die das Denkmal an seinem neuen Ort besuchen, immer wieder zum Vorbild gereichen.

Dankbar sind wir, dass das Denkmal zwei Jahrzehnte lang im Kurpark stehen und für die kulturelle Öffentlichkeit Nenndorfs präsent sein konnte. Die Umsetzung ist für die Kulturstadt Bad Nenndorf beschämend und ein größerer Verlust als für uns.

So möchte ich nun Agnes Miegels Denkmal an diesem friedlichen-stillen, privaten Ort, für den es von Anfang an bestimmt war, offiziell begrüßen und willkommen heißen und zitiere aus dem „Bauspruch“, den Agnes Miegel zum Richtfest dieses Hauses am 11. Oktober 1952 geschrieben hatte:

„Hier im Garten, im Haus, das Nenndorfs Gemeinde erbaute

Als der Herbststurm des Deisters Wälder verfärbte,

Hofft nun Ruhe zu finden nach sieben Jahren der Unrast,

Die aus kriegszerstörter Heimat und Vaterstadt herkam,

Fern aus dem Ordensland Preußen, dem bernsteingekrönten,

Agnes Gustavstochter, die Letzte der Ihren,

Die ehrfürchtig das Lied der Heimat gesungen.“[5]

Weit wichtiger als der Streit um ein Denkmal, das die Dichterin selbst sicher nie gewollt hätte, bleibt die Lektüre und Auseinandersetzung mit ihrer Dichtung. Wie für Annette von Droste-Hülshoff wäre es ihr am liebsten, wenn ihr Werk weiterlebt. Auffordernd hält hier die Figur dem Betrachter ihr Buch entgegen. Und so möge auch weiterhin gelten, was Hans-Joachim Schick vor 21 Jahren bei der Begrüßung der Statue im Kurpark sagte, dass Agnes Miegels Werke eine Gesundung der Seele bewirken!

Dr. phil. Marianne Kopp

[1] Bericht aus den Schaumburger Nachrichten Ende Oktober 1994, ohne Datum abgedruckt im Weihnachtsbrief der Agnes-Miegel-Gesellschaft 1994, S. 4

[2] ebd.

[3] abgedruckt im Sommerbrief 2004 der Agnes-Miegel-Gesellschaft, S. 9

[4] ebd.

[5] zitiert nach Agnes Miegel: „Land, so schön geschmückt wie eine schöne reiche Rotrockfrau“, Jahresgabe der Agnes-Miegel-Gesellschaft 1998

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